Dienstag, 18. November 2008

Mashup: Ich will mein Radio zurück!

Das Problem: Gutes Radio gibt's nicht mehr.

Mein Radio hat ein Qualitätsproblem. Es begann im Jahr 2004 mit einer Programmreform und ist bis heute immer größer geworden. Der Sender HR1 konnte bis zum Beginn der Krise mit guten journalistischen Beiträgen zu allen möglichen Themen punkten, die Reisesendung "Weltzeit" war auch weltklasse. Die Musik war schon damals etwas angestaubt, aber erträglich. Heute ist HR1 unsäglicher Dudelfunk. Ganze Moderatorenhorden machen sich mittlerweile gleichzeitig über die Nerven der ausharrenden Zuhörer her. Auch die 2004 ins Leben gerufene Protestaktion http://rettedeinradio.de konnte das nicht verhindern. Shit happens. Die dürfen gerne kaspern, bis der Arzt kommt. Nur gibt es leider keine einzige Alternative zu diesen Spaßterroristen.

Auch nicht im Web: Hey, last.fm ist cool, ich bin seit 2005 dabei und höre immer wieder gerne verschiedenste Radiosender mit den abwegigsten Musikstilen. Aber etwas fehlt. Ich möchte nicht stundenlang Musik hören. Zumindest fünf Minuten Nachrichten ab und an wären schön. Oder die ein oder andere Reportage, vielleicht mal ein Interview oder eine Buchbesprechung - das alles fehlt mir. Dabei könnte es so einfach sein.

Die Idee: Eine Plattform, die Podcasts und Musikstreaming verbindet.

Die API von last.fm wird mittlerweile für viele Mashups verwendet. Allein programmableweb.com zählt 74 Stück. Da kann ein weiteres Fliwatüt aus last.fm und ein paar Zeilen Code nicht schaden. Ich stelle mir das so vor: Auf einer Plattform, nennen wir sie mal "Dein.fm", kann sich jeder Nutzer sein eigenes Radio nach dem Baukastenprinzip basteln.

Die Inhalte setzen sich aus last.fm-Radio-Streams und Podcasts zusammen. Die Wahl der Musik ist einfach und wird 1:1 von last.fm übernommen. Man gibt einen Künstler oder eine Musikrichtung an, und es wird nur Musik wiedergegeben, die ähnlich ist.

Bei den Podcasts ist es etwas komplexer. Da gibt es Serien wie den Tellerrand-Podcast von Alex Wunschel. Die kommen immer wieder und sind nicht tot zu kriegen. :-) Und es gibt... Seltsames. One-Hit-Wonder. Revolutionäre Metadiskussionen. Aber das ist der long tail, baby. Eine echte Herausforderung, zumindest ein wenig Orientierung zu ermöglichen. Minimum ist die Regel: Kein Podcast sollte zu lang sein.

Hätte z. B. der Tellerrand-Podcast auf Dein.fm eine Chance? Bedingt. Die einzelnen Folgen sind nämlich nicht unkurz. Einmal "Brain-Pimpin'" dauert ca. 20 bis 30 Minuten. Viel zu lang für ein "klassisches" Hörfunk-Feature. Orientieren wir uns einfach bei YouTube: Da ist nach 10 Minuten Schluss. Und das ist gut so. Wenn also der Herr Wunschel seinen Tellerand-Podcast auf Dein.fm veröffentlichen will, muss er ihn splitten in zwei oder drei Teile a 10 Minuten. Dazwischen läuft Musik.

Der Hörer kann sich beliebig viele Bausteine für sein persönliches Radio aussuchen. Musik und Podcasts werden dann in einem Verhältnis gemixt, das jeder Hörer selbst bestimmt. 20/80, 30/70, 40/60 - have it your way.

Hab mal ein Scribble gebastelt, wie das Ganze aussehen könnte - reduced to the max, also ohne Navigation, Störer und den ganzen anderen Kram.

Der USP: Qualität setzt sich durch.
Schnell.

Die Limitierung der Länge ist wichtig, denn der Effekt könnte der gleiche sein wie bei Twitter. Micropodcasting infiziert schneller und effizienter, sprich, findet schneller mehr Hörer und Podcaster. Niemand wird mehr gezwungen, ein ganzes Magazin mit Intro und Outro und sonstigem Schnickschnack auf die Beine zu stellen, um eine Handvoll Hörer zu erreichen. Du erzählst gerne Witze? Kein Thema. Dann dauert ein Witz eben nur 25 Sekunden. Das macht nix, denn der Witz ist nur ein Bestandteil des Programms. Danach geht es weiter mit Musik. Oder einer sozialphilosophischen Betrachtung des Teilens von diesem Typ, der sein eigenes Wort zum Sonntag produziert.
Wichtig, weil Social Media und so: es müssen genügend Leute mitmachen. Dann wird eine große Bandbreite an Themen zusammenkommen und, noch wichtiger, über das Netzwerk verbreiten sich die qualitativ hochwertigen Produktionen sehr schnell. Da kann man mit Ratings arbeiten. Empfehlungsmarketing at it´s best. Und das spricht sich auch bei freien Radiojournalisten um.

Dann wäre da noch die Usability:

A) Der Upolad muss so einfach wie möglich sein. File aussuchen, kurze Beschreibung und Tags dazu, evtl. Wahl des Serientitels (z. B. Tellerrand Podcast) mit automatischer Durchnummerierung und Angabe des Datums, fertig. Der Podcast erscheint direkt auf der Profilseite des Nutzers, die halt aussieht wie eine typische Netzwerk-Profilseite mit allen Gimmicks und Bling-Bling.

B) Das Streaming muss vor allem eins sein: intelligent! Wenn ich einen Podcast abonniere, will ich nicht vier mal hintereinander die gleiche Folge hören. Also muss ich beim Abonnieren folgende Angaben machen können: Einzelne Folgen dürfen wiederholt werden, ja/nein. Wenn ja: Immer nur die aktuellste Folge wiederholen, ja/nein. Maximale Anzahl an Wiederholungen. etc. pp. Sicher, das sind die erweiterten Einstellungen. Es genügt auch der Klick auf "Follow".
Überhaupt ist das mit dem Abonnieren so eine Sache. Ich plädiere für weitestgehende Freiheit. Es sollen sowohl einzelne (Konzept-) Podcasts (Tellerrand), der komplette Output eines Nutzers (Follow) und ganze Themengruppen mit Untergruppen (via Tags) abonniert werden können. Nur so bekommt man überhaupt einen ausreichend großen Pool, um im Extremfall den ganzen Tag keine Wiederholungen hören zu müssen.

C) Das ganze darf nicht auf einer Website stattfinden - wir wollen Widgets, Apps und Browser-Add-ons. Networking, Sharing und Twitter-Integration. Also her mit der API.

Details, Korinthen und Erbsen.

Richtig, ein kleines Rechenzentrum sollte im Businessplan schon vorkommen. :-) Wie lässt sich so eine Idee finanzieren? Und kann man damit seinen Lebensunterhalt sichern? Vielleicht. Einnahmequelle Nr. 1 ist, wie immer bei solche Geschichten, die gute alte Werbung. Radiowerbung befindet sich generell auf einem absteigendem Ast. Die Spendings für Online-Werbung sind in D mittlerweile höher als die für den Rundfunk. Aus gutem Grund. Hoher Streuverlust, begrenzte Reichweite und Medienbruch sprechen gegen Radiowerbung. Noch. Denn auf Dein.fm kann Radiowerbung sinnvoll sein.

Beispiel: Frau Yps hat sich auf Dein.fm ihren Radiostream zuusammengestellt. Weil sie Hörbücher und insbesondere hessische Mundart-Politthriller mag, hat sie auch einen abgedrehten Literatur-Podcast abonniert: Der Special Interest-Podcast "Walters wohlige Schauerstunde" beschäftigt sich mit Thrillern aus der Provinz, natürlich auch aus Hessen. Der Podcast ist mit den Tags "Politik", "Mundart" und "Possenspiel" versehen. Damit sind die Hörer genau die richtige Zielgruppe für die Mitgliederwerbung der Splitterpartei SDP. Diese schaltet vor oder nach der Sendung einen Spot. Frau Yps fühlt sich sofort angesprochen. In der Darstellung ihres Streams auf Dein.fm findet sie auch einen Eintrag für die Mitgliederwerbung der SDP. Der enthält einige Infos und einen weiterführenden Link zum Mitgliedsantrag. Frau Yps füllt ihn sofort aus. Wer weiß, vielleicht wird sie sogar mal Ministerpräsidentin von Hessen?

Noch mehr Szenarien sind denkbar, z.B. Werbung für Produkte, die bisher nicht im Fokus der Radiowerbung standen. Hörbücher fallen mir da spontan ein. Thalia, Hugendubel, oder wie sie alle heißen könnten ein Audiomagazin mit Vorlese-Proben produzieren. Logisch, dass die Werbung einen viel geringeren Streuverlust hat. Und über die Integration in das Internet gehört der Medienbruch der Vergangenheit an, genauso wie das Reichweitenproblem.

Wer keine Werbung hören will, zahlt einen Mitgliedsbeitrag und bekommt den Dienst ohne Werbeunterbrechung plus Mehrwert in Form von exklusiven Angeboten (ich geb's ja zu: das hört sich an wie Weltbild - ich meine aber Xing).

Tiefer gehe ich nicht in die Kalkulation - das hier ist schließlich kein Businessplan, sondern Brainstorming. Könnte aber Potential haben, wie ich denke. Andere Meinungen? Übrigens, die URL Dein.fm ist noch frei zu haben. :-)